Ein uralter Stoff in bunten Gewändern des 21. Jahrhunderts! Einerseits fesselten mitreißende Songs und eine Show voller Witz und Phantasie die Sinne des Publikums, so warfen andererseits satirische Pointen und das verblüffende Ende Fragen auf, die lange nicht vergessen werden.
Goethes Faust hat wie wohl kein zweites Bühnenstück Theatergeschichte geschrieben, mehr noch, es hat über die Grenzen der Literaturwissenschaft hinaus immer noch Bedeutung und wird bis heute ungemindert zitiert. Mit »Goethe, Busch und Bibel« ist man für alle Lebenssituationen gerüstet, heißt es – und wer weiß schon, wie viele Schlagwörter und Weisheiten aus diesem Werk stammen? Selbst der, der es nie gelesen hat, kennt sie: »Da steh' ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor ...«, »Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber ...«, »Grau, teurer Freund, ist alle Theorie ...« und nicht zuletzt: »Heinrich, mir graut vor dir ...« oder »Naht ihr euch wieder, schwankende Gestalten ...«.
In einzigartiger Weise hat Goethe in seinem letzten großen Werk, Natur- und Geisteswissenschaften, Politik und Kunst zusammengeführt und kritisch hinterfragt. Die Tiefe des Werkes, sein Aussagenspektrum und seine sprachliche und dramatische Schönheit, haben die Gemüter bis heute angeregt.
Wenn auch die moderne Technik jene von damals um Längen überholt hat, so hat Goethes analysierender und skeptischer Blick auf den Beginn des Industriellen Zeitalters nichts an Brillanz und Schärfe verloren. Nein, vieles wird uns erst heute in seiner Tragweite deutlich.
Den Stoff des Faustdramas selbst hat Goethe nicht erfunden, er entstammt alten volkstümlichen Sagen und einige von diesen kreisen um die nahe Gemeinde Staufen im Markgräfler-Land und ihren Burgberg – und um die Universität Freiburg, an der Faust nachweislich studiert hat.
Aber das sind alte Geschichten. Das Leben ist hier, heute und jetzt. Was sollen wir uns um die alten Probleme kümmern? Was könnte uns eine alte Sage bedeuten aus einer Zeit, in der die Chemie von Alchimisten – auf der Suche nach Wahrheit und Gold – tastend entdeckt wurde. Sie haben beides nicht gefunden. Und was kann – und will – unsere Biochemie heute? Aber das ist eine neue Geschichte.
Horst Römer und Karl-Heinz Drollinger haben den Fauststoff wieder aufgegriffen und ihn für die heutige Zeit neu interpretiert. In reizvoller Weise scheint Goethes Werk – bis zu wörtlichen Zitaten – immer wieder durch, aber »Mephisto« ist keine bloße Modernisierung des Faust-Dramas. Das Musical setzt ganz eigene Akzente, pointiert und originell, provozierend und mit satirischem Spott, so dass der Besucher nicht nur mit musikalischen »Ohrwürmern«, sondern auch mit bohrenden Fragen versehen den Ort des Schreckens und der Lust verlässt.
Die Problematik des Gelehrten Dr. Faust wird nur skizziert und gleichsam – aus Goethes Werk – zitiert, sie dient vor allem als Raster, um die höllischen, d.h. unmenschlichen Dimensionen der uns umgebenden gesellschaftlichen Wirklichkeit auszuloten. Nicht umsonst geistern die verschiedensten Teufelsgestalten über die durchaus nicht nur finstere Bühne. So erscheint Luzifer, der wegen seiner Vermessenheit gestürzte Erzengel, als leistungsbesessener Chef der Höllenbürokratie, während Satan, der dionysische Urteufel, in den Orgien der Walpurgisnacht seine Auferstehung feiert.
Als Star aller Teufel und Teufeleien begleitet uns indessen Mephisto durch eine Welt, die der unseren aufs Haar zu gleichen scheint. Er zieht uns hinein in einen verwirrenden Reigen von Pluralität und Egoismus, von Fundamentalismus und Wahrheitssuche, von Wissenschaft und Demagogie, von Macht und Lust.
Er selbst ist ganz Zeitgenosse, dessen erfolgsorientierte Flexibilität ihn zu stetigem Rollenwechsel nötigt: mal zeigt er sich als versierter Unternehmensberater mit scharfem analytischem Verstand und visionärer Energie, mal als Psychotherapeut Freudscher Schule, mal als Showmaster einer Mega-Television-Show, mit deren Hilfe er einem ausgeflippten und abgestumpften Schickeria-Club dazu verhilft, den Gipfel der Spaßgesellschaft zu erklimmen. Natürlich will er mit all seinen Finten und Tricks auch den armen Dr. Faust verführen, aber in Wahrheit verfolgt er weitaus höhere Ziele, denn schließlich hat er nicht nur Goethe, sondern auch Nietzsche gelesen!
Mit diesen Oberteufeln nicht genug, treibt auch noch eine Schar von mehr oder weniger dienstbaren Vasallen der Hölle ihr Unwesen mit sich selbst, mit Faust und – mit dem Zuschauer. Und wie sollte es anders sein, wenn so viele Spielarten des Bösen die Bühne bevölkern, selbstverständlich begegnen wir auch den Abgesandten des Himmels!
Vier ausverkaufte Vorstellungen bestätigen den Erfolg dieses aussergewöhnlichen Musical-Projektes, bei dem mehr als 50 Mitwirkende aus dem ganzen Hochschwarzwald und dem Dreisamtal zusammenkamen, um mit Fleiß und
Das Miteinander des gesamten Ensembles war für das Publikum nachzuerleben. Unsichtbar blieben die gemeinsamen Feste und vor allem die Abschlußfahrt (fast) der gesamten Gruppe nach Weimar – zu Mephisto, einer vollständig überarbeiten Fassung der von der YMCH verwendeten Vorlage. Dabei mit den Verantwortlichen und den Schauspielern dort in Kontakt zu kommen war natürlich besonders klasse.
Diverse Spezies der Gattung »Engel« – vom unwiderstehlich liebreizenden Schutzengel bis zum schwerbewaffneten Kampfengel – versuchen den Teufeln das Leben schwer zu machen, ja erdreisten sich schließlich sogar, eine Entscheidung herbeiführen zu wollen, die weit über das Schicksal von Faust und Gretchen hinaus universale Gültigkeit beansprucht ... Engangement – aber vor allem mit viel Spaß unzählige Probenstunden absolvierten. Die neue Konzeption der Young Musical Company Hinterzarten hat sich in eindrucksvoller Weise bewährt.
Musik: |
Walter Bialek; Arr.: Tobias Schwab |
Texte: |
K.-H. Drollinger, Horst Römer |
Regie: |
Anne Penner, Freiburg und Wulf Schmidt, Rötenbach |
Choreographie: |
Marketa Sindlerova, Freiburg |
Musikal. Leitung: |
Michael Weh, Freiburg |